Lokalisation des Tempels
Die Insel Philae (griechische Umschrift des ägyptischen pi-lak) liegt unmittelbar am Beginn des 1. Nilkataraktes und markiert den Grenzpunkt zwischen dem kuschitischen Stammland zum eigentlichen Ägypten. Vom Alten bis zum Neuen Reich bildete die Nilinsel Elephantine Ägyptens “Tor zum Süden”.
Das Besondere an der 140 x 460 Meter großen Granitinsel – die gerne als “Juwel” oder “Perle Ägyptens” bezeichnet wird – ist die Tempelstadt die sich auf ihr erhebt und in die ptolemäische und römische Herrschaftszeit datiert. Der Tempelkomplex ist bis in die heutige Zeit fast unversehrt erhalten geblieben, was nahezu an ein Wunder grenzt, wenn man bedenkt, dass die Insel 1912 im Assuanstausee versenkt wurde, so dass lediglich die oberen Bereiche des Tempels herausragten. Nach Fertigstellung des Hochdamms namens Sadd al Ali, wäre der Bau vollständig im Wasser versunken. 1960 wurden diesbezüglich schließlich große Teile des Tempels auf die höher gelegene Insel Agilkia verlegt, wo das Heiligtum heute bewundert werden kann.
Der älteste heut aufrechtstehende Bau der Tempelanlage wurde unter Nektanebos I. errichtet (380-362 v.Chr.). Dennoch wurden – laut Arnold – einige ältere Fundamente bei Grabungen gefunden, die in frühere Zeiten datieren. So wurde exemplarisch ein Hinweis auf ein Tor des Taharqa (690-664 v.Chr.) entdeckt, Blöcke eines kleinen Tempels des Amasis (570-526 v.Chr.) und kleine Reste eines Kiosk Psammetichs II. (595-589 v.Chr.).
Nach Nektanebos I. – unter dem das Tor im ersten Pylon sowie ein Kiosk errichtet wurde – wurde das Bauprogramm der Insel erst wieder von den Ptolemäern fortgesetzt. Ptolemäus II. Philadelphus und Ptolemäus III. Euergetes I. engagierten sich sehr am Bau dieses Heiligtums, wonach wir diesen beiden Herrschern die beiden großen Pylone (siehe Bild unten), den Vorhof und Pronaos verdanken.
Erster Pylon rechts, zweiter Pylon in der Mitte des Bauwerks:
In den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten lässt sich – nach Wildung – eine lebhafte Bautätigkeit auf der Nilinsel feststellen. Dieser Umstand ergab sich aus der Tatsache, dass Philae – seit der Eroberung Ägyptens durch das römische Imperium- den äußersten Punkt des Römischen Reiches markierte. Alle Bemühungen der römischen Kaiser ihr Reich weiter in den Süden auszudehnen blieben jedoch erfolglos, so dass Philae über mehrere Jahrhunderte die Südgrenze des imperium romanum bildete.
Unter Kaiser Augustus (27 v. bis 14 n.Chr.) wurde beispielsweise ein kleiner Hathortempel errichtet sowie die Kolonnaden des großen Vorhofs, unter Trajan (98-117 n.Chr.) der große Kiosk am Ostrand des Tempels (siehe Bericht unten) und unter Hadrian (117-138 n.Chr.) und Marcus Aurelius (161-180 n.Chr.) ein monumentales Tor (Hadrianstor) im Nordosten (vgl. Wildung) der Tempelstadt.
Die göttlichen Besitzer
Der Isis-Tempel von Philae war der großen Muttergöttin Isis und ihrem Sohn Harpokrates geweiht.
Isis stand als Göttin für die königliche Macht, die sie als Gemahlin des Osiris aufgenommen und als Mutter des Horus wieder hervorgebracht hatte. Sie konnte so Dies- und Jenseits mit einander verbinden. Sie war gleichzeitig Mutter-, Frauen-, Geburts- und Totengöttin. Sie ist Tochter des Geb und der Nut. Als Schutzgöttin der Toten wird sie mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt, welche an den Sargwänden dargestellt waren und Schutz bieten sollten.
Obwohl sie ursprünglich keinen eigenen Kultort hatte, wurde sie – in Zusammenhang mit dem Osirismythos – landesweit verehrt. In der Spätzeit war ihr Hauptkultort Philae, während sie in der griechisch-römischen Ära eine höchst bedeutende Rolle spielte und im gesamten römischen Reich verehrt wurde. Auf Philae lässt sich ihr Kult bis ins 6. Jahrhundert n.Chr. nachweisen.
Harpokates (Heru-Pa-Khret, Harpakhrad) war Horus in kindlicher Form, wonach man ihn auch “Horus als Kind” nennt. Aufgrund dieser kindlichen Darstellung des großen Gottes, wurde er nackt mit Jugendlocke und Finger im Mund abgebildet, teilweise auch sitzend auf dem Schoß seiner Mutter Isis. Er erreichte insbesondere nach dem Neuen Reich eine starke Verehrung, welche in der griechisch-römischen Epoche kulminierte.
Während der griechisch-römischen Ära verband man Harpokrates manchmal auch mit Chnum zu Harponknuphis oder mit Amun zu Hor-Amun.
- Erster Pylon
- Hof
- Mammisi
- zweiter Pylon
- Säulensaal
- Allerheiligstes
Beschreibung des Tempels
Bei Betrachtung des Grundrisses fällt zunächst auf, dass der Isis-Tempel eine unregelmäßige Struktur aufweist und damit keine einheitliche Mitteachse hat, die sich durch den gesamten Komplex zieht. Dieser Umstand resultiert aus der Geländestruktur.
Der erste Pylon, der unmittelbar zu einem scheinbar trapezförmigen Vorhof führt, erstreckt sich über eine Größe von 20 Metern Höhe und 38 Meter Breite (laut Semsek 45 Meter Breite). Dargestellt wurden die klassischen Szenen der königlichen Opferhandlungen sowie das Erschlagen der Feinde, das Symbol für die Wiederherstellung der kosmischen Ordnung. Das Tor, das in den ersten Pylon integriert wurde datiert in die Zeit Nektanebos I.
Der darauffolgende Vorhof wird im Westen durch das Mammisi Ptolemäus VIII. Euergetes II begrenzt und im Osten von einer Kolonnadenreihe, von wo ein Aufgang hoch zur Spitze des Pylons führt. Durch die abknickende Tempelachse wurde das Geburtshaus (Mammisi) an dieser Stelle – laut Wildung spielten dabei auch Platzprobleme eine Rolle – errichtet und in die Tempelachse gedreht. Eine Treppe führt von diesem Vorhof zu dem 13 Meter hohen und 30 Meter breiten zweiten Pylon, der schräg zur Tempelachse errichtet und von Ptolemäus XII. Neos Dionysos in Auftrag gegeben wurde.
Auf den zweiten Pylon folgt ein fünf Meter tiefer Hof, Säulenschranken der Pronaosfassade und schließlich das Allerheiligste. Das Naos wird von zehn Räumen umgeben und wurde mit einer Krypta versehen.
Der Trajanskiosk
Zu einem der schönsten Bauteile des Tempelkomplexes zählt ein Kiosk der Anfang des zweiten Jahrhunderts – wahrscheinlich unter dem römischen Kaiser Trajan (98-117 n.Chr.) – am Ostufer der Insel erbaut wurde. Mit diesem Kiosk sollte – so Arnold – eine Ost-West-Prozessionsachse zum Haupttempel geschaffen werden. Er besteht aus einem Portikus von 14 Säulen und wurde wahrscheinlich als Barkenstation bei Kultprozessionen und als Landungsbrücke verwendet. Laut Wildung blieb das Bauwerk jedoch unvollendet, da Reliefs und Inschriften fehlen. Daneben war – wie bei anderen Kiosken – keine steinerne Decke, sondern eine Holzkonstruktion zur Stützung des Zeltdaches vorgesehen. Heutzutage ist keine Dachkonstruktion vorhanden. Mehrere dünne Pflanzenstengel aus Stein – die zu großartigen Säulen zusammengebunden sind – schmücken den Kiosk. Die Kapitelle der Säulen zeigen ein Spektrum an verschieden großen Papyruspflanzen auf, wobei die Pflanzen in mehreren Schichten von unten nach oben mit zunehmender Größe aufgebaut sind. Unten stehendes Bild soll dies veranschaulichen:
Kapitell des Trajans-Kiosk:
Philae als letzter Standort altägyptischer Tradition
Der Isis-Kult avancierte – obwohl schon immer ein Schwerpunkt in der altägyptischen Theologie – in der Ptolemäerzeit zu einer nie da gewesenen Beliebtheit, wonach sich die Priesterschaft des Isis-Tempels auf Philae als eine Art Gottesstaat verstand, der eine gewisse Unabhängigkeit genießen konnte. Diese Unabhängigkeit ergab sich unter anderem aus der geographischen Lage Philaes, wonach die Insel quasi als “Pufferzone” zwischen dem meroitischen und ägyptisch-ptolemäischen Reich agierte und so Stiftungen, Spenden etc. von beiden Ländern zugestanden bekam. Diesem Umstand verdankte die Priesterschaft und der Tempel den anhaltenden Isis-Kult, der sich diesbezüglich auch noch nach der offiziellen Einführung christlicher Traditionen und Kulte (391 n.Chr.) auf Philae halten konnte.
Der Isis-Kultbetieb auf Philae ist bis in das frühe 6. Jahrhundert n.Chr. noch belegt. Die letzten hieroglyphischen Inschriften Ägyptens (und damit auch Philaes) stammen von 394 n.Chr. und die letzten demotischen von 452 n.Chr. In der Folgezeit sollte die Kenntnis des Schreibens und Lesens für lange Zeit in Vergessenheit geraten, bis Jean Francois Champollion 1822 die Hieroglyphen entziffern konnte.